Was der geneigte Rezensent noch hätte erwähnen können

Wer am Sonntag, den 29.8.2021, ins Lichtspielhaus Ginsheim kam, konnte fünf Auszüge aus den Roman-Briefen hören, gelesen von Anna-Dorothea Schneider. Holger Wilmesmeier ließ dazwischen acht Illustrationen live mit Ölkreide auf Zeichenkarton an einer Staffelei auf der Bühne entstehen, musikalisch begleitet von Magnus Treber mit Motiven aus Erik Saties „Gnossiennes“ und „Gymnopedies“. Die VRM schrieben am 31.8. unter der Rubrik „Lokales“:

Eine Lesung mit Melancholie und Zerrissenheit in Ginsheim

„Dabei verstanden es Schneider und Wilmesmeier auf Grundlage des historischen Romans meisterlich, in die vergangene Ära der römischen Gotteshäuser, Kunsttempel und Bohème zu führen. Der Briefroman wurde in Rückblenden entwickelt. Jane Chattertons Sohn begibt sich nach Jahrzehnten auf die Spuren seiner Mutter. Anna-Dorothea Schneider trug stimmungsvoll mehrere Passagen von Janes Suche nach Liebe und Identität vor.“

Diese wohlwollende Anerkennung nehmen wir dankend entgegen. Weiter schreibt Gregor Ries in seiner Besprechung vom 31.8.:

„Der Mainzer Comicdozent, Kunsthistoriker und Medienwissenschaftler legte seine teils beidhändig gezeichneten Bilder oft spiegelbildlich an. Aus einzelnen Figuren entwickelte er virtuos römische Sehenswürdigkeiten wie den Tritonenbrunnen oder die Bocca della Verità. Manchmal bestanden die grafischen Werke nur aus einer oder zwei Linien.“

Dazu hätte noch gut folgendes Zitat aus der Roman-Lesung gepaßt:

Dann nahm Paolo mich am Arm, zog mich an die entsprechende Seite und machte mich auf ein dort prangendes, kunstvoll gestaltetes Blatt aufmerksam. Schrift und Illustration waren darauf entlang einer Mittelachse symmetrisch angeordnet. Die linke Seite war die Spiegelung der rechten. Unterschrieben war das Blatt mit grillo parlante, „sprechende Grille“. Dieses Insekt war auch als Zeichnung auf dem Blatt zu sehen. „Das bin ich!“ sagte Paolo mit einem Augenaufblitzen. „Ich bin nicht nur Linkshänder, sondern Beidhänder. Zur Zeit beschäftige ich mich mit Symmetrien. Deshalb faszinieren mich im Petersdom auch diese gespiegelten, natürlichen Äderungsmuster auf dem Marmorboden.“

Warum überhaupt historische Romane geschrieben werden, auch darauf hätte der Rezensent vielleicht kurz eingehen können. Historische Romane und Geschichte überhaupt sind, wie die amerikanische Historikerin Barbara Tuchman es formulierte, „A Distant Mirror“, „ein ferner Spiegel“ – denn Themen wie Selbstfindung, gesellschaftlicher Wandel, städtebauliche Veränderungen, Anarchismus, Freie Liebe usw. sind ja auch uns nicht unbekannt und auch heute nicht unbrisant oder uninteressant. (ADS)

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