Zum internationalen Frauentag – Erinnerung an einen schweizer Künstlerinnenroman von Anna-Dorothea Schneider

Jakob Christoph Heer, der schweizer Schriftsteller, veröffentlichte 1908 den Roman „Laubgewind“, einen Künstlerinnenroman, der im zeitgenössischen München spielte. Ein Exemplar davon habe ich von meiner Großmutter geerbt. Auf dem Schmutz- oder Vortitel steht mit Tinte und Feder geschrieben: „Zur Erinnerung an unser Beisammensein im Kinderheim, gewidmet von Luise, Dora, Trudel. Offenbach a/M., 9. April 1921.“

Meine Großmutter hat nach ihrer Ausbildung zur Erzieherin und der Arbeit im Kinderheim an der damaligen Werkkunstschule in Offenbach weiterstudiert. Sie wollte in den Schuldienst. Als sie 1929 heiratete, durfte nur e i n Ehepartner im Staatsdienst beschäftigt sein. Es war die Zeit der großen Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise. Doch schon seit der Inflation von 1923 versuchte der Staat Personal einzusparen. Dazu erließ die Regierung Stresemann die „Verordnung zur Herabminderung der Personalausgaben des Reichs“. Also verzichtete meine Großmutter auf ihre Berufslaufbahn, wurde Mutter, Hausfrau und baute zur Selbstversorgung Gemüse, Kartoffeln und Obst an.

Aber zurück zur Kunst. Aus der Perspektive der jungen Schweizerin Hilde (so sollte dann interessanterweise meine Mutter heißen) schildert Heer den damaligen Kunstbetrieb, dessen Probleme er scharfsinnig diagnostiziert. Eines davon ist, dass zu viele Künstlerinnen und Künstler ausgebildet werden als dass alle von ihnen am Markt reüssieren könnten. Und die Alternativen werden auch benannt: Für Frauen sind dies Heirat, Lehrberuf oder Kunstgewerbe. Problem Nummer zwei: Gute Lehrmeister sind teuer und rar. In der privaten Malschule, die Hilde in Schwabing besucht und in die sie ein Gutteil ihres väterlichen Erbes investiert, besucht der Meister alle vierzehn Tage das Gruppenatelier, um die Arbeiten der Schülerinnen zu korrigieren. Bei dem Malerfürsten, der sie später als Meisterschülerin aufnimmt, steht Hilde täglich mit ihm im gleichen Atelier, und er berät und korrigiert sie bei ihrer künstlerischen Produktion nach jeder Etappe. So erzielt sie natürlich wesentlich schneller bessere Resultate. Und auch beim Verkauf ihrer Werke ist der Herr Malerfürst recht nützlich. Netzwerke waren schon damals wichtig, vor allem im Geschäftsleben. Heute sind die Kostüme andere, die Umgangs- und die Sprachformen auch. Wer sich dennoch darauf einzulassen weiß, auf den warten überraschend aufschlußreiche Leseerlebnisse. (Das Buch ist antiquarisch auf Onlineplattformen erhältlich.)

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