Was sind „wahre“ Geschichten? Realismus, Verismus, Dokumentarismus und die Fantasie

(von Anna-Dorothea Schneider)

Ist eine Erzählung mehr wert, wenn das, was in ihr geschildert wird, sich wirklich so zugetragen hat? Oder muss im Gegenteil der gute Geschichtenerzähler alles selbst erfinden?
Hat der Wahrheitsgehalt einer Erzählung mit ihrem Realitätsgehalt zu tun? Gibt es überhaupt eine vollkommen wahre Geschichte?
Luigi Malerba (1927-2008) mokiert sich in seiner Kurzgeschichte „Una storia tutta vera“ (in Testa D’argento, Milano 1988):
„Se poi a qualcuno rimane il dubbio che si tratti di una storia realmente accaduta e di cui ha sentito effettivamente parlare in città, può sfogliare le annate della ‚Gazzetta‘ e controllare le pagine della cronaca. Non escludo naturalmente che si trovino fatti che assomiglino a questo che ho raccontato, ma si sa che la cronaca produce somiglianze in contiunuazione. Sarebbe una pretesa assurda che chi inventa una storia dovesse preoccuparsi di controllare che non si siano verificati nella realtà fatti simili a quelli che ha inventato. Sia ben chiaro, la vicenda della mansarda è soltanto una mia invenzione, un desiderio pettegolo e vendicativo, ma nessuno mi obbliga a raccontare per guistificarmi anche i sentimenti personali che mi hanno spinto a scrivere. Non sarebbe questo né il luogo né l’occasione.“
/„Wenn nun jemand daran zweifelt, ob es sich um eine tatsächlich vorgefallene Geschichte handelt, von der er wirklich hat reden hören in der Stadt, kann die Jahrgänge der ‚Gazzetta‘ durchblättern und die Seiten des Lokalberichts überprüfen. Ich schließe natürlich nicht aus, dass man Fakten findet, die dem was ich erzählt habe ähneln, aber man weiß ja, dass die Lokalberichte Ähnlichkeiten am laufenden Band produzieren. Es wäre eine absurde Forderung, dass wer eine Story erfindet, sich damit beschäftigen müsse zu kontrollieren, ob es nicht in der Wirklichkeit ähnliche Ereignisse gibt, wie die, die er erfunden hat. Es sollte klar sein, dass der Vorfall in der Mansarde nur eine Erfindung von mir ist, ein Bedürfnis zu klatschen und sich zu rächen, aber ich bin niemandem verpflichtet, meine persönlichen Empfindungen darzulegen, die mich zum Schreiben bewegt haben, um mich zu rechtfertigen. Das wäre hier weder der rechte Ort, noch der Anlass.“
Wie sehen Sie das, liebes Lesepublikum? Schon Schriftsteller wie Lukian von Samosata („Wahre Geschichten“) und Oscar Wilde („The Decay of Lying“) haben sich übrigens darüber Gedanken gemacht.

Unsere Illustration zeigt den „Realisten“ Courbet als „Der Verzweifelte“.

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